
Professorin Kati Thieme steht an einem Spezialgerät im Schmerzlabor auf den Lahnbergen.
Bisher deuten alle Anzeichen darauf hin, dass der Marburger Medizin-Psychologin Professorin Kati Thieme mit ihrem Team im Labor im ehemaligen Staatsbauamt auf den Lahnbergen ein entscheidender Durchbruch in Sachen Schmerzreduzierung gelungen. Dabei setzte sie ihre in mehr als zwei Jahrzehnten erarbeiteten theoretischen Überlegungen bei der Therapiestudie mit chronischen Schmerzpatienten in Marburg mit großem Erfolg praktisch um. „Wir haben mithilfe einer Kombination einer neuartigen Schmerzstimulierungsmethode und einer psychotherapeutischen Behandlung 24 Patienten jeweils fünf Wochen lang behandelt.
Alle sind nach der Therapie schmerzfrei“, berichtet Thieme. Diese Quote ist sehr viel höher, als sie bisher bei ähnlichen Therapie-Studien mit anderen Forschungsansätzen erreicht wurde. Bei den Patienten aus Marburg und Umgebung handelte es sich um Fibromyalgie-Patienten im Alter zwischen 21 und 71 Jahren: Diese Erkrankung hat vor allem schwere chronische Schmerzen des gesamten Bewegungsapparates als Symptome. Häufig kommen bei den Patienten aber begleitend auch noch mit weiteren starken Schmerzen einhergehende Co-Erkrankungen wie Migräne oder Arthrose sowie Gesichtsschmerzen hinzu. Rund ein Drittel der Patienten musste noch einmal zu Auffrischungssitzungen in das Labor zurückkommen.Jahrelang waren Forscher davon ausgegangen, dass vor allem die vermehrte Muskelanspannung ein entscheidender Auslöser für die Fibromyalgie-Schmerzen sein könnten.
Viele hatten zu hohen Blutdruck
Doch es könnte noch einen anderen Grund geben – und zwar den Bluthochdruck. Das hat die Marburger Forscherin herausgefunden. Darauf war Thieme bereits 1997 im Zuge ihrer Doktorarbeit über entzündlich-rheumatische Erkrankungen gestoßen. Dabei machte sie die Entdeckung, dass bei sehr vielen der Patienten die Muskelanspannung im Gegensatz zur Ausgangshypothese der Forschung nicht sehr hoch war. Auffällig war jedoch, dass bei diesen Patienten überwiegend ein zu hoher Blutdruck vorlag. Bei den nachfolgenden Experimenten konnte dann festgestellt werden, dass Rezeptoren in der Halsschlagader, die für die Blockade des Schmerzes notwendig gewesen wären, nicht funktionierten.
Die Frage war dann, auf welche Weise sie wieder aktiviert werden könnten: Bei den jahrelangen Forschungsarbeiten stellte sich heraus, dass sie durch Gabe von unterschiedlich starken elektrischen Schmerzreizen wieder aktiviert werden konnten. Diese Erkenntnis machen sich Thieme und ihr Team jetzt zunutze.
Von den theoretischen Erkenntnissen bis zur praktischen Umsetzung dauerte es allerdings noch einige Zeit. Nachdem es zunächst Tierversuche gegeben hatte, begann die Medizinische Psychologin seit Mai vergangenen Jahres in Marburg zusammen mit der von Professor William Maixner geleiteten Partnerinstitution an der Universität North Carolina mit dem Start einer Reihe von Patientenstudien, für die ein spezielles Labor mit eigens entwickelten Gerätschaften entwickelt wurde.
Mindestens 350 Patienten müssen teilnehmen
Klar ist bisher, dass Schmerzpatienten, die an niedrigem Blutdruck oder an Persönlichkeitsstörungen (psychische Erkrankungen) leiden, nicht an der Therapie-Studie teilnehmen können. Zudem, so Thieme, sollten die Teilnehmer kein Rentenbegehren gestellt haben. Zwar sind die bisherigen Ergebnisse, bei denen die Schmerzfreiheit bei allen beteiligten Patienten erreicht wurde, aus Sicht der Marburger Forscherin sehr erfreulich. Die Fortführung der Studie wird zeigen, wie nachhaltig der Effekt der Schmerzreduzierung ist.
Die ersten Nachuntersuchungen sechs bis zwölf Monate nach Therapie zeigen, dass die Schmerzfreiheit aufrechterhalten werden konnte. Um die Ergebnisse für den Leistungskatalog der Krankenkassen akzeptabel werden zu lassen, müssten mindestens 350 Patienten an solch einer aufwändigen Studie teilgenommen haben, erläutert Thieme. Deswegen plant sie die Ausweitung der Laborkapazität an der Uni Marburg und hofft auf die Unterstützung des Medizin-Dekans (siehe Artikel unten). Zudem hofft sie auf Kooperationen mit anderen Standorten, um die bisher auf Marburg und die Universität in North Carolina begrenzte Therapie-Studie auch an anderen Orten zu starten. Ziel ist es, möglichst schnell effektive Behandlungskonzepte zu entwickeln.
von Manfred Hitzeroth
Zur Person
Professorin Kati Thieme hat seit April 2001 die Professur für Medizinische Psychologie an der Universität Marburg inne und leitet dort das Institut für Medizinische Psychologie. Zuvor war sie als Psychologin in der Herz-Kreislaufforschung in Ostberlin tätig. Nach der Wende war sie zunächst Psychologin an einer Rheuma-Klinik und beschäftigte sich ab dieser Zeit mit der Schmerzforschung. Im Jahr 1997 legte Thieme ihre Doktorarbeit über entzündlich-rheumatische Erkrankungen vor. Für ihre dadurch ausgelösten Forschungen erhielt sie im Jahr 2012 den Deutschen Schmerzpreis.
Die Marburger Studie
Die Marburger Therapie-Studie befasst sich vor allem mit dem Behandlungskonzept für die Schmerzerkrankung Fibromyalgie, die mit chronischen Schmerzen in mehreren Körperregionen einhergeht. Mit Medikamenten ist die Krankheit bisher kaum behandelbar, es lassen sich allenfalls die Symptome lindern. Rund 90 Prozent der Fibromyalgie-Kranken sind Frauen.
Die Marburger Professorin Kati Thieme hofft, dass die bei der Marburger Studie gewonnenen Ideen auch für die Behandlung von Schmerzerkrankungen anderer Art hilfreich sein werden. Vor allem Rückenschmerzen sind in Deutschland weit verbreitet. So klagen 85 Prozent aller Deutschen mindestens einmal in ihrem Leben über akute Rückenschmerzen. Bis zu 10 Prozent der Rückenschmerzen werden chronisch, erläutert Thieme.
Diese Schmerzen haben auch volkswirtschaftliche Auswirkungen. Mittlerweile sind in Deutschland chronische Rückenschmerzen die häufigste Ursache für anhaltende Arbeitsunfähigkeit. Die zur Bewältigung der Schmerzfolgen benötigten Kosten im Gesundheitswesen wurden 2010 auf rund 25 Milliarden Euro geschätzt. Das „Schmerz-Problem“ der Bundesbürger einzudämmen, hätte also auch sehr positive Auswirkungen auf die Volkswirtschaft.